Verlustaversion: Der Wert des Effekts für das Marketing

Verluste werden tendenziell höher gewichtet als Gewinne gleichen Werts. Diese kognitive Verzerrung, die Verlustaversion, auf Englisch loss aversion, gehört zu den großen psychologischen Einsichten der sogenannten Verhaltensökonomie. Die irrationale Vermeidung von Verlusten in unsicheren Szenarien hat auch evolutionspsychologische Gründe und reicht vermutlich bis in die Zeit der Jäger und Sammler zurück.

In den folgenden Abschnitten erfahren Sie, was genau hinter dem Phänomen der Verlustaversion steckt und warum dieser psychologische Effekt im Marketing eine so wichtige Rolle spielt.

Was steckt hinter der Verlustaversion?

Als Kunde oder Unternehmer kämpfen Sie jeden Tag mit kognitiven Verzerrungen, die Wahrnehmung, Denken, Erinnerungen und Urteilsvermögen beeinflussen, verzerren und verändern. Eine dieser verzerrten Perspektiven ist die sogenannte Verlustaversion (engl. loss aversion), die den Umgang mit Gewinnen und Verlusten für uns Menschen unnötig kompliziert macht. Die Verlustaversion ist durch das Phänomen gekennzeichnet, dass Verlusten tendenziell eine höhere Gewichtung zugemessen wird als Gewinnen. So ist der Ärger über den Verlust von 100 Euro grundsätzlich wesentlich intensiver als die Freude über einen Gewinn der gleichen Summe.

Aus diesem Grund spielt die Verlustaversion auch im Marketing eine wichtige Rolle: Für den maximalen Marketing-Erfolg gilt es, Kunden Gewinnmöglichkeiten zu präsentieren und Kosten, Pflichten etc. in den Hintergrund zu rücken.

Die Verlustaversion ist eine zentrale Erkenntnis der „Prospect Theory“ (deutscher Titel: „Neue Erwartungstheorie“) aus dem Jahr 1979. Sie wurde von den Psychologen und Wirtschaftswissenschaftlern Daniel Kahneman und Amos Tversky entwickelt. Für ihre Gesamtarbeit wurden die beiden Forscherkollegen im Jahre 2002, Tversky dabei posthum, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Definition: Verlustaversion

Als Verlustaversion bezeichnet man den psychologischen und ökonomischen Effekt, Verluste tendenziell höher zu gewichten als Gewinne.

Wie funktioniert die Verlustaversion?

Die Definition der Verlustaversion macht eines sehr deutlich: Diese kognitive Verzerrung hat einen immensen Einfluss auf das Marketing und angrenzende Disziplinen. Das entscheidende Stichwort in diesem Zusammenhang ist „Irrationalität“: Lange Zeit galt in den Wirtschaftswissenschaften die Annahme, dass der wirtschaftlich denkende Mensch (der sogenannte „Homo oeconomicus“) rational und nutzenmaximierend agiert. Das Phänomen der loss aversion zeigt stattdessen, dass sich Menschen in Entscheidungssituationen irrational verhalten – und zwar vor allem dann, wenn Unsicherheiten eine Rolle spielen.

Unsicherheiten sorgen verstärkt dafür, dass potenzielle Verluste für die Entscheidung höher gewichtet werden als potenzielle Gewinne. Aus der Perspektive der jeweiligen Entscheidungsträger wiegen Verluste dabei ungefähr doppelt so schwer wie Gewinne in exakt gleicher Höhe. Die Erklärung für diese Verlustaversion lieferten Kahneman und Tversky gleich mit: Menschen bewerten eine Investition (z. B. Haus, Aktien, Produkt) nicht nach dem Endergebnis. Vielmehr erfolgt die Bewertung in Bezug auf einen sogenannten Referenzpunkt. Der Referenzpunkt ist dabei in der Regel der Zeitpunkt des Kaufs.

Verlustaversion an Beispielen verdeutlicht

Ein klassisches Beispiel zur Veranschaulichung der Verlustaversion ist das Taxifahrer-Beispiel des US-amerikanischen Ökonomen Colin F. Camerer. Mit seiner empirischen Studie lieferte er 1990 einen weiteren Beweis für die Korrektheit der Verlustaversions-Hypothese von Hahnemann und Tversky. Er beobachtete Taxifahrer im hart umkämpften Markt New Yorks und nahm dabei insbesondere deren schwankende Einnahmen und Arbeitszeiten unter die Lupe.

Dabei stellte er fest, dass sich auch Profis wie Taxifahrer wirtschaftlich irrational verhalten, weil sie als Menschen „verlustavers“ sind. An Tagen mit hoher Nachfrage hätten die Fahrer eigentlich länger arbeiten sollen, um die ebenfalls auftretenden Tage mit schwacher Nachfrage zu kompensieren. Das genaue Gegenteil war der Fall: Die Taxifahrer setzten sich für jeden Tag ein fixes Umsatzziel – und arbeiteten stattdessen besonders lang an Tagen mit geringer Nachfrage, um ihr Tagesziel dennoch zu erreichen.

Ein weiteres sehr bekanntes Beispiel für die Verlustaversion ist der eng verwandte Endowment-Effekt. Er sagt aus: „Wenn wir etwas besitzen, ist es uns mehr wert.“ Dieser Besitztumseffekt ist gleichzeitig ein weiterer Beweis für die tatsächliche Existenz des Prinzips der loss aversion. Entsprechend gut kann der Endowment-Effekt im Marketing genutzt werden, entweder allein oder in Kombination mit der Verlustaversion.

Verlustaversion im Marketing

Verlustaversion spielt insbesondere in den Kategorien Pricing und Promotion eine große Rolle und reicht sogar bis in die Produktentwicklung hinein. Entsprechend hoch ist die Bedeutung dieser kognitiven Verzerrung in Bereichen wie Marketing und Verkaufspsychologie. Zu den Methoden des Marketings, die sich die Verlustaversion zunutze machen, gehören:

  • Rabatte, Gutscheine und Belohnungen
  • Kostenlose Testphasen und Warenproben
  • Vorbestellungsmöglichkeiten für neue Produkte
  • Exklusive Mailing-Listen für bestimmte Produkte
  • Social Proof und die „Angst etwas zu verpassen“
  • Kommunikation von Dringlichkeit und Knappheit (entweder tatsächlich oder suggeriert)
  • Nachfassen bei nicht abgeschlossenen Warenkörben und Bestellungen

Ganz entscheidend ist dabei das verbale Framing, das Wording: „Sparen Sie jetzt 100 €“ ist beispielsweise eine elegantere Formulierung als „Dank dieses Produktes 100 € mehr Gewinn erzielen.“

Weil die Verlustaversion so breit nutzbar ist und so viele Aspekte mit sich bringt, kommt sie – vor allem seit ihrer Entdeckung – eher inflationär zum Einsatz, beispielsweise in Form folgender typischer Vermarktungssprüche:

  • „Exklusiv nur noch heute erhältlich.“
  • „Nur noch X Produkte verfügbar!“
  • „Nichts verpassen: Jetzt kaufen.“

Derartige Verknappung von Zeit oder Produkten, dringliche Handlungsaufforderungen und Countdowns bzw. Deadlines sind wirksame Marketing-Prinzipen, die im Zusammenhang mit der Verlustaversion stehen. Aber genauso kurzfristig wie diese Maßnahmen ist oft auch ihr Effekt. Mit der loss aversion der Kunden zu spielen ist also eine punktuell sinnvolle Taktik, aber noch lange keine ausgeklügelte Marketing-Strategie. Dennoch ist es richtig und wichtig, auch im Marketing mit der Verlustaversion zu arbeiten. Zu marktschreierisch sollte es allerdings nicht sein, denn je länger und stärker Kunden mit Verknappung und Zeitdruck konfrontiert werden, desto eher stumpfen sie ab.

Hinweis

Besonders wirkungsstark ist die Kombination von Verlustaversion und Bandwagon-Effekt im Marketing: Durch das positive Beispiel der bereits überzeugten Kunden wird der Verkaufsdruck gleichsam psychologisch „abgemildert“.

Auch bei Freemium-Geschäftsmodellen oder jeder Form von Upgrades kann man sich im Marketing die Verlustaversion zunutze machen. Während der Testphase oder während der Produktnutzung wird eine wertvolle und hilfreiche Zusatzfunktion vom Unternehmen für den Kunden aktiviert. Möchten Kunden im Anschluss keine Verluste (Produktqualität, Besitz) hinnehmen, kommen sie bei derartigen Modellen nicht um einen Kauf herum.

Weitere Effekte, die für das Marketing relevant sind

Das irrationale Verhalten von Menschen in unsicheren Situationen, das die Verlustaversion so präzise beschreibt, können sich Marketer also wunderbar zunutze machen. In Kombination mit dem Know-how über andere Phänomene kognitiver Verzerrung wie dem Ankereffekt, dem

Halo-Effekt oder dem IKEA-Effekt im Marketing lässt sich der Erfolg eigener Marketing-Kampagnen so relativ einfach langfristig maximieren.

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