Einstweilige Verfügung und Reaktionsmöglichkeiten im E-Commerce
Ein Internetshop ohne ansprechende Bilder und Artikelbeschreibungen ist heutzutage undenkbar. Vor allem im E-Commerce herrscht ein großer Kampf um die beste Marktposition – das verleitet manche Anbieter dazu, sich zu stark an ihren Mitbewerbern zu orientieren. Schnell kommt es zu einem Fotoklau oder anderen Arten von Rechtsverstößen. Um diese rechtzeitig zu erkennen, sollten Sie regelmäßig einen Blick auf die Konkurrenz werfen. Denn gerade bei Rechtsverletzungen im Internet muss schnell gehandelt werden, das hat auch das deutsche Rechtssystem erkannt: Nach einer erfolglosen außergerichtlichen Abmahnung können Sie auf schnellem Wege die sogenannte einstweilige Verfügung beantragen. Aber was genau ist eine einstweilige Verfügung und welche Kriterien müssen Sie beim Einreichen des Antrags beachten? Und wie sollten Sie reagieren, wenn Sie selbst in der Rolle des Schuldners stecken und eine einstweilige Verfügung erhalten haben?
Ziel und Gegenstand einer einstweiligen Verfügung
Eine einstweilige Verfügung ist ein vorläufiger Rechtsschutz, der im Zuge eines gerichtlichen Eilverfahrens bereits vor dem Hauptverfahren Rechtsansprüche geltend macht. Das bedeutet demzufolge, dass Sie nicht erst einen langwierigen Gerichtsprozess abwarten müssen, um Ihr Recht einzufordern. Wenn Sie von der gegnerischen Partei auf Ihre Abmahnung hin keine einvernehmliche Unterlassungserklärung erhalten, sollten Sie von dem gerichtlichen Eilverfahren Gebrauch machen und eine einstweilige Verfügung beim Landesgericht beantragen. Das Prinzip der Eilbedürftigkeit bewirkt, dass der Antrag i. d. R. innerhalb von wenigen Tagen ohne mündliche Verhandlungen bearbeitet wird. Das vorläufige Gerichtsurteil ist ab dem Zeitpunkt seiner Zustellung durch den Gerichtsvollzieher wirksam.
Besonders im E-Commerce erweist sich das Verfahren der einstweiligen Verfügung als ein effektives Mittel, um Rechtsverletzungen zügig entgegenzuwirken. Sobald Sie also einen Rechtsverstoß entdecken, sollten Sie so schnell wie möglich handeln. Das Kriterium der Eilbedürftigkeit besteht lediglich dann, wenn Sie nachweisen können, dass Sie nach Kenntnisnahme der Rechtsverletzung sofort gehandelt haben. In der Regel sollten Sie dem Schuldner zuerst eine außergerichtliche Abmahnung schicken, in der Sie ihn dazu auffordern, die rechtsverletzende Handlung zu unterlassen. Sie können aber auch direkt einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen. In diesem Fall gehen Sie jedoch das Risiko ein, auf sämtlichen Prozesskosten sitzen zu bleiben – wenn nämlich der Schuldner dem Gerichtsurteil ohne Widerspruch zustimmt (§ 93 ZPO).
Bevor Sie die einstweilige Verfügung einleiten, sollten Sie dem Schuldner zuerst eine außergerichtliche Abmahnung zukommen lassen. Beachten Sie im Falle eines direkten Antrags die Zivilprozessordnung (ZPO), § 93.
Antragskriterien zum Erlass einer einstweiligen Verfügung
Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung müssen Sie schriftlich beim Landesgericht einreichen. So wie bei vielen juristischen Anträgen sind auch hier inhaltliche Kriterien sowie feststehende Ausdrücke, z. B. die Nennung des Antragstellers und des Antragsgegners, zu beachten. Neben allgemeinen Formalien muss der Antrag vor allem zwei Hauptkriterien erfüllen: die Angabe des sogenannten Verfügungsanspruchs und des Verfügungsgrunds.
Ein umfassendes Beispiel für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bietet der Fall Apple gegen Samsung, in dem es um Wettbewerbsverstöße in einem geschätzten Streitwert von 2.000.000 Euro ging.
Verfügungsanspruch
Der Verfügungsanspruch meint Ihren konkreten Rechtsanspruch darauf, dass der Schuldner die begangene Rechtsverletzung unterlässt. Sie können – je nach Art des Verstoßes – folgende Ansprüche erheben:
- Unterlassungsansprüche, um zur sofortigen Unterlassung der begangenen Rechtsverletzung aufzufordern, z. B. im Fall von nachgeahmten Produktbeschreibungen durch einen Konkurrenten
- Auskunftsansprüche bzw. Besichtigungsansprüche bei Urheberrechtsverletzungen, z. B. Auskünfte über Software des Konkurrenten bei Verdacht eines gestohlenen Quellcodes
- Beseitigungsansprüche, z. B. die Vernichtung von Werbematerial
- Sequestrationsansprüche, die den Antragsgegner dazu verpflichten, alle noch vorhandenen Exemplare, beispielsweise einer gefälschten Software, abzugeben
Unterlassungsverfügungen sowie Auskunftsverfügungen bilden den Hauptanwendungsbereich des Verfahrens. Beachten Sie, dass Sie Ihr Hauptanliegen bis zum Klageverfahren nicht vorwegnehmen dürfen. Ebenso ist lediglich die Angabe eines Verfügungsanspruchs erlaubt. Einzige Ausnahme bildet die Verbindung einer Unterlassungsverfügung mit einem Sequestrationsantrag, auf die Sie vor allem bei Plagiatsverdacht zurückgreifen sollten. Damit können Sie einen Weiterverkauf von gefälschter Ware zügig verhindern. Andere Ansprüche, z. B. auf Schadenersatz, sind im Eilverfahren nicht zulässig und werden erst im Hauptverfahren geltend gemacht.
§ 93 ZPO greift nicht, wenn Sie als Verfügungsanspruch eine Unterlassungsverfügung in Verbindung mit einer Sequestration angeben. Wird Ihr Antrag sofort anerkannt, fallen sämtliche Prozesskosten dem Beklagten zur Last. Bei Produktpiraterie sollten Sie also nicht lange zögern und direkt einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen.
Verfügungsgrund
Des Weiteren muss ein Verfügungsgrund bestehen, d. h. die Eilbedürftigkeit muss sichergestellt sein. Eilbedürftig ist ein Antrag dann, wenn Ihnen der Rechtsverstoß nicht länger als einen Monat bekannt ist. Außerdem sollen Sie als Antragsteller glaubhaft machen, dass Sie mit erheblichen Schäden zu rechnen haben, wenn die Rechtsverletzung fortbesteht. Zur Glaubhaftmachung sind Ihnen gemäß § 294 ZPO alle Beweismittel erlaubt, die Sie als Antragsteller in Ihrem Recht bekräftigen, wie z. B. die Vorlage von Urkunden, Kopien, Gutachten etc. Langwierige Beweisaufnahmen werden aufgrund des Eilverfahrens nicht berücksichtigt und können erst im ggf. anschließenden Hauptverfahren vorgelegt werden.
Bei einer einstweiligen Verfügung im Marken- und Wettbewerbsrecht wird die Dringlichkeit gemäß § 12 Abs. 2 UWG grundsätzlich vermutet und bedarf daher keiner umfassenden Glaubhaftmachung. Um dem Kriterium der Eilbedürftigkeit gerecht zu werden, würde es also ausreichen, wenn Sie den Zeitpunkt angeben, an dem Sie die Rechtsverletzung festgestellt haben.
Wie kann das Gericht auf Ihren Antrag reagieren?
Wenn Ihr Antrag vollständig ausgefüllt und Ihr Anliegen glaubhaft begründet ist, kann die einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung erlassen werden. Wird Ihre Glaubhaftmachung jedoch angezweifelt, so kann das Gericht eine mündliche Verhandlung beider Parteien zur Entscheidung heranziehen. Wird der Antrag aus Gründen der Unvollständigkeit oder wegen eines unbegründeten Verfügungsantrags ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen, können Sie eine Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) einreichen. Das Beschwerdegericht besitzt dann die endgültige Entscheidungsmacht. Eine weitere Beschwerde ist nicht mehr möglich.
Besonderheit im E-Commerce: Der „fliegende Gerichtsstand“
Unter „fliegendem Gerichtsstand“ – auch „forum shopping“ genannt (dt. „Gerichts-Einkauf“) – versteht man die willkürliche Auswahl eines Gerichts bzw. eines Richters zugunsten des Klägers. Laut § 32 ZPO ist i. d. R. das Landesgericht zuständig, in dessen Bezirk die Verletzungshandlung begangen bzw. festgestellt wurde. Die Besonderheit im E-Commerce ist, dass Rechtsverstöße durch das Internet praktisch von überall aus begangen werden können. Theoretisch fallen sie somit unter das Zuständigkeitsfeld eines jeden deutschen Gerichts. § 35 ZPO erlaubt dieses Auswahlverfahren:
„Unter mehreren zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl.“ (§ 35 ZPO)
Somit kann der Antragsteller den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung prinzipiell bei jedem deutschen Landesgericht einreichen und sich auf diese Weise gegenüber dem Antragsgegner Vorteile verschaffen. Denn es gibt Gerichte, die beispielsweise weniger Beweislast und Dokumente vom Antragsteller verlangen als andere. Auch vergangene Urteile zu ähnlichen Fällen können dem Kläger einen Hinweis auf die eigenen Erfolgschancen geben und die Entscheidung des Gerichts erheblich beeinflussen. Häufige Praxis von Rechtsanwälten ist es, den Antrag gleichzeitig bei mehreren Gerichten zu stellen, um so die bestmöglichen Gewinnchancen zu erzielen.
Das „forum shopping“ ist trotz rechtlicher Gültigkeit bei der Frage um Fairness sehr umstritten. Benachteiligter ist hier ganz klar der Antragsgegner, der neben seiner schlechteren Position ggf. mit erheblichen Fahrtzeiten und Reisekosten belastet wird.
Sie erhalten eine einstweilige Verfügung: Ablauf und Reaktionsmöglichkeiten
Drehen wir den Spieß um: Sie haben eine einstweilige Verfügung mit einer Unterlassungsverfügung erhalten und werden mit einem Rechtsverstoß im E-Commerce belastet. Womöglich kommt auf Sie ein großer Verlust zu. Wie sollten Sie in einer solchen Situation reagieren? Welche rechtlichen Schritte müssen Sie befolgen, um sich im Falle einer unrechtmäßig erlassenen einstweiligen Verfügung zur Wehr zu setzen? Gibt es Möglichkeiten, eine einstweilige Verfügung aufheben zu lassen?
Schritt 1: Die einstweilige Verfügung anerkennen
Sie sind dazu verpflichtet, dem Verfügungsanspruch sofort Folge zu leisten, sobald die einstweilige Verfügung an Sie zugestellt wurde. Ob die Ansprüche des Antragstellers Ihrer Meinung nach berechtigt sind oder nicht, ist in dieser Phase noch nicht entscheidend. Das Eilverfahren dient dazu, einen vorläufigen Gerichtsbeschluss zu erreichen, der auch ohne mündliche Verhandlungen beschlossen werden kann. Wenn Sie eine einstweilige Verfügung befürchten, können Sie jedoch zuvor eine sogenannte Schutzschrift beim Gericht einreichen, in der Sie Ihre Sichtweise in Form einer Präventivverteidigung darstellen. Eine nachträglich eingereichte Schutzschrift wird nicht berücksichtigt.
Halten Sie die Forderung der einstweiligen Verfügung nicht ein, drohen Ihnen eine Geldstrafe von bis zu 250.000 Euro oder eine Haftstrafe von bis zu 6 Monaten.
Schritt 2: Abschlusserklärung abgeben oder Widerspruch einlegen
Wenn Sie den Erlass der einstweiligen Verfügung für berechtigt halten, können Sie innerhalb von zwei Wochen eine sogenannte Abschlusserklärung verfassen, in der Sie die Rechtmäßigkeit der genannten Punkte anerkennen. Damit ist das Verfahren abgeschlossen und Sie umgehen einen Zivilprozess mit weiter anfallenden Kosten. Wenn der Antragsteller innerhalb der Frist keine Abschlusserklärung erhält, darf er das Hauptverfahren einleiten.
Stimmen Sie der Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung nicht oder nur teilweise zu, können Sie Widerspruch einlegen. Obwohl dafür keine gesetzliche Frist vorgeschrieben ist, sollten Sie mit Ihrem Widerspruchsschreiben nicht zu lange warten. Das Gericht bewertet eine zügige Stellungnahme i. d. R. positiv, sodass sich möglicherweise Ihre Erfolgschancen erhöhen. Beachten Sie jedoch, dass Sie im Falle eines Widerspruchs rechtlich dazu verpflichtet sind, einen Anwalt zu konsultieren.
Schritt 3: Hauptsacheverfahren oder Aufhebung der einstweiligen Verfügung
Wird im Zuge Ihres Widerspruchs das Hauptverfahren eingeleitet, wird der Fall im Rahmen eines Zivilprozesses mit gerichtlicher Vorladung geprüft. Entscheidet sich der Antragsteller gegen einen gerichtlichen Prozess oder liegen veränderte Umstände vor, so können Sie als Antragsgegner die Aufhebung der einstweiligen Verfügung beantragen. Stellt sich der Erlass der einstweiligen Verfügung als unberechtigt heraus, dann besitzen Sie gemäß § 945 ZPO das Recht auf Schadenersatz. Der Kläger muss in diesem Fall alle für Sie aus dem Verbot entstehenden Kosten inklusive der Gerichtskosten tragen. Liegt eine anteilige Anerkennung der einstweiligen Verfügung vor, so muss das Gericht über eine Kostenaufteilung entscheiden. Nach dem Urteil besteht noch die Möglichkeit, in Berufung zu gehen. Die letzte Gerichtsinstanz ist das Oberlandesgericht (OLG).
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