Stille Reserven: Die stillen Rücklagen erklärt
Der Begriff „stille Reserven“ taucht meist im Zusammenhang mit Unternehmensbilanzen auf. Er steht dabei für vorhandene Werte, die in der Unternehmensbilanz eben nicht auftauchen. Häufig schwingt bei dem Begriff auch eine leicht negative Konnotation mit: Stille Reserven erscheinen wie ein dunkles Geheimnis am Rande der Legalität. Tatsächlich sind solche Reserven jenseits der klaren Bilanzwahrheit aber unvermeidlich, ja sogar vom Gesetzgeber gewollt – jedenfalls bis zu einem gewissen Umfang. Was sind also stille Reserven genau und welche Rolle spielen diese stillen Rücklagen?
Was sind stille Reserven?
Stille Reserven sind im Prinzip Eigenkapital, das nicht in der Bilanz eines Unternehmens auftaucht. Es mindert den ausgewiesenen Wert des Unternehmens im Vergleich zum tatsächlichen Wert, wenn man das Vermögen zu gering oder die Schulden zu hoch einschätzt bzw. angibt. Dementsprechend können die Abweichungen an verschiedenen Stellen entstehen – und zwar sowohl durch Absicht als auch unabsichtlich. Mit den stillen Rücklagen entstehen im Unternehmen gewissermaßen unsichtbare Reserven, die nur dann konkret werden, wenn man sie auflöst – das heißt, in fassbare Werte umwandelt. Stille Reserven mindern den in der Bilanz ausgewiesenen Gewinn. Das bedeutet: Die Steuerlast sinkt, aber ebenso der Ertrag für die Anteilseigner (Aktionäre, Gesellschafter und Firmeninhaber).
Stille Reserven – häufig auch als stille Rücklagen oder Bewertungsreserven bezeichnet – entstehen durch eine Bewertung von Vermögensgegenständen und Verbindlichkeiten eines Unternehmens, die so vom tatsächlichen Wert abweicht, dass ein versteckter Wertüberschuss entsteht. Denn wenn die Buchwerte von Vermögensgegenständen unter den aktuellen Marktwerten liegen oder zu erwartende Verbindlichkeiten zu hoch eingeschätzt werden, gibt die Jahresbilanz den eigentlichen Wert eines Unternehmens nicht korrekt wieder. Stille Reserven sind bis zu ihrer Auflösung allerdings nicht real, sondern lediglich eine theoretische Größe. Wird eine nicht der Realität entsprechende Bewertung zu hoch angesetzt, dann spricht man hingegen von stillen Lasten.
Prinzipien im Widerstreit
Zwei Prinzipien kollidieren bei der Beurteilung von stillen Reserven: Auf der einen Seite resultieren sie aus dem sogenannten Niederstwertprinzip, wie es das Handelsgesetzbuch für die Bewertung von Anlagevermögen und Verbindlichkeiten vorschreibt (§ 253 Abs. 1 HGB). Demnach sind Vermögensgegenstände höchstens mit ihrem Anschaffungspreis abzüglich Abschreibungen anzugeben, während hingegen bei Verbindlichkeiten oder Rückstellungen die tatsächliche oder vernünftig zu erwartende Höhe anzusetzen ist. Das soll verhindern, dass der Wert des Unternehmens Dritten (Gläubigern, Aktionären und Gesellschaftern) gegenüber übertrieben hoch erscheint.
Auf der anderen Seite steht die Bilanzwahrheit: Jedes Unternehmen ist in der Pflicht, die tatsächlichen Verhältnisse in seinen Büchern abzubilden und keine Werte zu unterschlagen. Bei Vermögensgegenständen, deren Bilanzwert durch eine Sonderabschreibung herabgesetzt wurde, schreibt das Gesetz sogar eine Werterhöhung vor, wenn der Grund für diese Abschreibung entfallen ist (§ 253 Abs. 5 HGB). Jedenfalls werden stille Reserven bis zu einem gewissen Grad von den Behörden toleriert oder sogar gefordert.
Stille Lasten sind nicht erlaubt
Das Gegenteil von stillen Reserven sind die stillen Lasten. Sie entstehen dadurch, dass man Vermögensgegenstände überbewertet und/oder Schulden einen zu geringen Wert beimisst. Anders als bei den stillen Reserven ist dies in keinem Fall zulässig. Für eine erste Bewertung ist bei Vermögenswerten der Beschaffungspreis die obere Grenze, und jede Wertminderung erfordert eine entsprechende Abschreibung. Verbindlichkeiten sind im Wert nach „vernünftiger kaufmännischer Beurteilung“ anzusetzen, wie es im Gesetz heißt.
Von einer stillen Reserve im Singular spricht man, wenn nicht die komplette Bilanz, sondern nur die abweichende Bewertung eines einzelnen Postens gemeint ist.
Wie entstehen stille Reserven? Vier Beispiele
Stille Reserven entstehen dadurch, dass der tatsächliche oder aktuelle Wert von Vermögen und Verbindlichkeiten deren Bewertung übersteigt beziehungsweise unterschreitet. Im Unternehmen sind damit Werte vorhanden, die in der Bilanz nicht auftauchen. Dieser Effekt kann auf unterschiedliche Weise entstehen.
Abschreibungen
Nehmen wir an, dass ein Unternehmer eine Maschine angeschafft hat. Ihr Wert muss entsprechend ihrer Abnutzung über die Jahre abgeschrieben werden – etwa über zehn Jahre. Am Ende dieser Zeit ist die Maschine komplett abgeschrieben, hat also den Buchwert Null. Tatsächlich ist das Gerät aber noch gebrauchsfähig, wird deshalb weiterhin genutzt und könnte auch noch verkauft werden. Der Vermögensgegenstand hat damit noch einen Wert für das Unternehmen, der nicht mehr in seinen Büchern auftaucht: Dieser Vermögensgegenstand ist damit unterbewertet und stellt eine stille Reserve dar.
Entsprechendes gilt auch für sogenannte geringwertigen Wirtschaftsgütern. Sie werden gar nicht erst Teil des Betriebsvermögens, vielmehr gelten ihre Anschaffungskosten als Betriebsausgaben. Trotzdem haben diese Gegenstände einen realen Wert und könnten beispielsweise verkauft werden.
Wertsteigerung
Nach dem Handelsgesetzbuch darf man Vermögensgegenstände höchstens mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten in der Bilanz bewerten. Wenn ein Unternehmen beispielsweise ein Grundstück für 50.000 Euro kauft, dann taucht dieser Betrag auch in den Büchern auf. Wenn der Marktwert des Grundstückes aber im Lauf der Zeit auf 100.000 Euro steigt, dann ist der Vermögensgegenstand dort unterbewertet. Das Resultat ist eine stille Reserve von 50.000 Euro. Tatsächlich muss das Grundstück laut Gesetz weiterhin mit seinem ursprünglichen Kaufpreis in der Bilanz stehen bleiben.
Selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände
Das Handelsgesetzbuch gibt Unternehmen mit dem Bilanzierungswahlrecht die Option, immaterielle Vermögensgegenstände, die sie selbst geschaffen haben, nicht in die Bilanz einfließen zu lassen (§ 248 Abs. 2 HGB). Hat das Unternehmen beispielsweise ein Patent angemeldet, kann dies einen bestimmten Wert haben, etwa dadurch, dass sich entsprechende Produkte herstellen und verkaufen lassen. Das Patent ließe sich auch verkaufen, doch braucht man seinen angenommenen Wert nicht in die Bilanz aufnehmen. Damit ist der bilanzierte Wert des Unternehmens geringer als sein tatsächlicher Wert. Es ist eine stille Reserve entstanden.
Rückstellungen
Stille Reserven durch Überbewertung von Passiva entstehen zum Beispiel angesichts von erwarteten Nachzahlungen oder Steuerzahlungen. Ein Unternehmen erhält beispielsweise die Information, dass eine Steuer anfallen wird. Daraufhin baut es eine Rücklage von 2 Millionen Euro auf, damit es die Steuer zahlen kann, wenn es dazu aufgefordert wird. Tatsächlich beträgt die zu erwartende Steuer aber nur eine Million Euro. Damit hat der verbleibende Rest den Charakter einer stillen Rücklage.
Drei verschiedene Arten von stillen Rücklagen
Abhängig davon, wie stille Reserven entstehen, kann man drei verschiedene Arten unterscheiden.
Zwangsreserven
Während selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände nicht zwangsläufig Teil des Firmenvermögens werden müssen, ist dies bei selbsterstellten Marken, Drucktiteln, Verlagsrechten, Kundenlisten oder ähnlichem nicht einmal zulässig (§ 248 Abs. 2 HGB). Das Unternehmen wird in solchen Fällen also sogar gezwungen, entsprechende stille Rücklagen zu bilden. Allerdings sind solche Werte kaum zu beziffern, sodass entsprechende Bilanzposten kaum sinnvoll wären. Konkreter sind dagegen Wertsteigerungen über die Anschaffungskosten hinaus wie im Beispiel mit dem Grundstück. Auch in solchen Fällen entstehen stillen Reserven zwangsläufig.
Dispositions- und Ermessensreserven
Manche Werte sind nicht klar bemessen und müssen daher vom Unternehmen bestmöglich geschätzt werden. Da ein verantwortungsvoller Kaufmann dabei das Vorsichtsprinzip walten lassen und im Zweifelsfall das Vermögen zu gering und die Schulden zu hoch einschätzen sollte, entstehen auch dadurch oftmals stille Reserven. Von Dispositionsreserven spricht man, wenn Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte angewendet werden, man also bewusst entschieden hat, ob bzw. wie man bestimmte Werte in die Bilanz aufnimmt. Auf der anderen Seite entstehen Ermessensreserven durch Schätzungen – nicht nur eines Wertes, sondern auch der Nutzungsdauer bei Abschreibungsplänen.
Willkürreserven
Während die ersten beiden Typen mehr oder weniger unausweichlich entstehen und daher auch erlaubt oder sogar gefordert werden, sind Willkürreserven nicht zulässig. Sie entstehen, wenn man bei der Bildung von Reserven fahrlässig oder sogar vorsätzlich gegen Vorschriften und Prinzipien verstößt. Wenn man beispielsweise aktivierungspflichtige Vermögensgegenstände nicht in die Bilanz aufnimmt, verletzt man unter Umständen Vorschriften des Handelsrechts und des Steuerrechts, mit entsprechenden strafrechtlichen und auch zivilrechtlichen Folgen.
Stille Reserven auflösen
Zum großen Teil lösen sich stillen Reserven mit der Zeit quasi von allein auf: Zu niedrig bewertete Vermögensgegenstände werden beispielsweise verkauft und tauchen dann mit ihrem Verkaufspreis in der Bilanz auf. In anderen Fällen nehmen Unternehmen eine Auflösung vor, indem sie Aktiva oder Passiva in der Bilanz korrigieren und mit einem passenderen Wert versehen.
Es gibt aber auch stille Rücklagen, die dauerhaft bestehen bleiben. Dazu zählen etwa Immobilien, die zwar im Wert steigen, aber langfristig für den Unternehmensbetrieb eingesetzt werden.
Konsequenzen von stillen Reserven
Durch stille Rücklagen vermindert sich das Eigenkapital eines Unternehmens und letztlich auch sein Jahresgewinn. Das wiederum führt zu einer geringeren Steuerlast. Da aber nahezu alle stillen Reserven irgendwann aufgelöst werden, ist dieser Effekt nur vorübergehend. Die Zahlung der Steuern verschiebt sich praktisch in die Zukunft.
Entsprechendes gilt für den Unternehmensgewinn. Niedrigere Gewinne durch die Bildung von stillen Reserven und damit auch geringere Ausschüttungen an Anteilseigner gleichen sich aus, wenn die zuvor gebildeten stillen Reserven aufgelöst werden.
Das bewusste Bilden und Auflösen von stillen Reserven kann Teil einer aktiven Bilanzpolitik sein. So ist es Unternehmern möglich, die Gestaltung von Bilanzen zu beeinflussen und Gewinne dann entstehen zu lassen zu lassen, wenn es für sie am günstigsten erscheint.
Als Fazit lässt sich festhalten: Stillen Reserven sind weder gut noch schlecht. In manchen Fällen ist ihre Bildung sinnvoll, in anderen entstehen sie zwangsläufig. Bis zu einem gewissen Ausmaß lässt sich ihr Umfang beeinflussen, im Übermaß sind die aber schädlich und auch nicht zulässig. Wie so oft kommt es auch in diesem Bereich auf das richtige Maß an.
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